Biologische Prozesse in einer reaktiven Wand mit nullwertigem Eisen

Kooperationsprojekt: Auswertungen zum Langzeitverhalten einer Fe(0)-reaktiven Wand am Beispiel des Standortes Rheine


Mull und Partner Ingenieurgesellschaft mbH
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Technische Universität Berlin
Institut für technischen Umweltschutz
Arbeitsgruppe Umwelthygiene
Projektleiter: Dr.-Ing. Martin Steiof


Dr. Weßling Beratende Ingenieure GmbH


  • Ursache

    Die Kontamination mit LHKW beruht auf einer Verunreinigung durch eine ehemalige Wäscherei.

  • Schadstoffgruppen/Kontaminanten

    Auf dem Standort wurde ein LCKW-Schadensfall nachgewiesen. In der Schadstofffahne lagen folgende durchschnittliche Belastungen vor:
    PCE (Hauptkontaminante) ca. 16.000 µg/l
    TCE ca. 115 µg/l
    cis-1,2-DCE ca. 320 µg/l

    Die Abbildung 1 zeigt die Schadstoffbelastung im Anstrom der Reaktiven Wand.

    Abb. 1 Übersicht zur Schadstoffverteilung und Grundwasserströmung am Standort Rheine

  • Geologie

    Der von der Kontamination betroffene Aquifer wird als hochgradig heterogen beschrieben. Der Grundwasserleiter besteht aus quartären Ablagerungen fluviatilen Ursprungs. Es handelt sich um pleistozäne, während der Weichselkaltzeit gebildete Uferwallsedimente der Ur-Ems. Die Mächtigkeit dieses quartärer Kalkmergelaquifers schwankt im Bereich der Schadstofffahne zwischen 6 und 11 m.

  • Hydrogeologie

    Höhe der Aquiferbasis: ca. 6 m unter GOK im Bereich der Reaktiven Wand
    GW-Flurabstand: ca. 2,60 m unter GOK
    Durchlässigkeit (kf-Wert): im Mittel 1 x 10-5 m/s


  • Hydrochemie

    Mittel mineralisiertes Grundwasser


Seit Juni 1998 betreibt die Mull und Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Garbsen in Rheine eine vollflächig durchströmte Reaktive Wand als Großforschungsanlage mit zwei verschiedenen Eisenmaterialien. Diese Eisenwand wurde mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück von der Mull und Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Garbsen als Versuchsanlage im Feldmaßstab an einem konkreten Schadensfall gebaut.


Neben der weiteren Bestimmung der Abbauleistung stehen folgende Fragestellungen auch für die zukünftige Planung von passiven Grundwassersanierungstechniken im Vordergrund:

  • Mit welchen Veränderungen des eingesetzten Eisenmaterials ist zu rechnen und wie beeinflussen sie langfristig das Abbauverhalten bzw. die Wirksamkeit der Reaktiven Wand ?
  • Welche Möglichkeiten der Reaktivierung von passivierten Eisenmaterialien stehen zukünftig zur Verfügung und können für den praktischen Einsatz weiterentwickelt werden ?
  • Reichen die bisher angewendeten "Standard-Ansätze" zum Monitoring von Reaktiven Wänden aus und welche Alternativen stehen zur Verfügung ?
  • Welche hydraulischen Veränderungen im Aquifer können Reaktive Wände im Langzeitbetrieb darstellen und wie kann man sie bestimmen ?
  • Welche mikrobiologischen Aktivitäten entwickeln sich im Eisenreaktor und wie sind sie für den Langzeitbetrieb zu werten ?
  • Welche Pufferfunktionen kann der Aquifer stromab einer Eisenwand bezogen auf die veränderten Grundwasserparameter ausüben ?
  • Welche Erkenntnisse ergeben sich aus den Ergebnissen und Erfahrungen für die ingenieurtechnischen Planungen ?

Die Aufgabenverteilung wird wie folgt gestaltet sein:

  • Hydraulische Veränderungen
    Mull und Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Dr. Weßling Beratende Ingenieure GmbH,
    Universität Kiel

    Eine abschließende Beurteilung des Leistungsvermögens der untersuchten Materialien im Feld kann nur erfolgen, wenn eine genaue Erfassung der Strömungsgeschwindigkeit und Strömungsrichtung vorliegt.
    Durch Verfeinerung des Messnetzes im näheren Umfeld der Reaktiven Wand und durch eine verbesserte Datengrundlage mittels selbstregistrierender Pegel können die wirksamen hydraulischen Gradienten genauer erfasst und die Strömungsrichtungen besser ermittelt werden. Durch eine Ausdehnung der Messreihen der bereits vorhandenen Pegel können ggf. langfristige Veränderungen in den hydraulischen Eigenschaften der Reaktiven Wand durch Verschlammung, Clogging, Sortiereffekte oder Präzipitatsbildung gemessen werden. Zusätzlich sind Tracerversuche für eine exakte Erfassung und Berechnung von Strömungsgeschwindigkeiten vorgesehen.
    Die zusätzlich erfassten hydraulischen Gegebenheiten und Variabilitäten gehen in die Erstellung eines Grundwassermodells für das nähere Umfeld der Reaktiven Wand ein. Daneben sind die berechneten Durchflüsse die Grundlage für Frachtenermittlungen und damit Stoffbilanzierungen für den Reaktionsraum.

  • Materialbetrachtung
    Universität Kiel, Dr. Weßling Beratende Ingenieure GmbH

    Das eingebrachte Eisenmaterial unterliegt einer Vielzahl von Veränderungen, welche wiederum den langfristigen Betrieb einer Reaktiven Wand beeinflussen können. Neben dem Oxidationsvorgang der Eisenoberfläche durch die Dehalogenierung von LHKW (Reinigungsprozess) und der damit verbundenen Bildung von Eisenhydroxiden sind weitere Prozesse wie z. B. die anaerobe Korrosion der Eisenoberfläche mit Bildung von Hydroxiden oder die Bildung von Präzipitaten durch Fällungsprozesse anorganischer Grundwasserinhaltsstoffe zu nennen.
    Zur Untersuchung der Materialveränderungen wird zum einen versucht, direkt Veränderungen der Materialeigenschaften nachzuweisen und zum anderen werden über vergleichende Säulenversuche indirekt Materialveränderungen über veränderte Abbauleistungen nachgewiesen. Mögliche Veränderungen in der Abbauleistung sollen dann auch mit Hilfe der durchgeführten Materialanalysen interpretiert werden.
    In weiteren Versuchen mit den aufgebauten Säulen werden die Möglichkeiten der Reaktivierung passivierter Eisenmaterialien geprüft und einer ersten Bewertung für den Feldeinsatz unterzogen.

  • Monitoring
    Universität Kiel mit Dr. Weßling Beratende Ingenieure GmbH und Mull und Partner Ingenieurgesellschaft mbH

    Die Entwicklung der Abbauleistung, der Milieuveränderungen sowie der anorganischen Parameter innerhalb und stromab der Reaktiven Wand unmittelbar vor und hinter sowie innerhalb jeder Wandhälfte ermittelt mit "Standard-Ansätzen" zur Grundwasserbeprobung sollen mit innovativen Vergleichsmessungen überprüft werden. Damit verbunden sind tiefenhorizontierte Probenahmen als auch Pumpversuche mit Probenahmen zur Frachtenberechnung sowie neue keramische Zellen zur Registrierung von Frachten.
    Neben den LHKW werden eine Reihe weiterer relevante Inhaltsstoffe sowie begleitende Grundwasserparameter untersucht, die für die Interpretation der Verhältnisse bzw. des Verfahrens wichtig werden.
    Weiterhin soll durch Bilanzbetrachtungen von Kat- und Anionen im Zu- und Abstrom der Reaktiven Wand die Präzipitatsbildung in und möglicherweise hinter der Wand quantifiziert werden. Die Bilanzen werden mit den Ergebnissen der Materialuntersuchungen verglichen und weitgehend durch geochemische Modellprogramme unterstützt. Eine Abschätzung der Veränderung im Porenraum der Reaktiven Wand wird somit auch möglich.
    Durch Zeitreihenanalysen lassen sich zudem Ganglinien der Abbauleistungen mit anderen Grundwasserparametern korrelieren und die weitere Entwicklung der Abbauleistung einschätzen.

  • Mikrobiologische Aktivitäten
    Technische Universität Berlin, Universität Kiel

    Aufgrund der bereits gewonnenen Erkenntnisse in Rheine ist davon auszugehen, dass innerhalb von drei Monaten eine mikrobielle Adaption an die veränderten Milieubedingungen eingetreten ist. Die mikrobiologischen Versuche werden mit Grundwasser aus Rheine und anaeroben Medium durchgeführt. Durch Vergleiche der beiden Probendurchläufe vor und nach den Säulenversuchen sowie den Nullbeprobungen können qualitative Aussagen über den Einfluss der Mikroorganismen in der Reaktiven Wand getroffen werden.

    Reaktive Systeme mit elementarem Eisen stellen einen innovativen Ansatz zur in situ Reinigung von mit leichtflüchtigen Chlorkohlenwasserstoffen (LCKW) kontaminierten Grundwässern dar. Aufgrund fehlender Untersuchungen und Praxiserfahrungen betrifft der Haupt-Untersuchungsbedarf jedoch noch Ausmaß, Einflussfaktoren und Folgen der Entwicklung von Wasserstoff durch die anaerobe Korrosion von elementarem Eisen im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit reaktiver Systeme (Blockade durch Gasblasen). Für nahezu alle Organismengruppen anaerober Habitate stellt elementarer Wasserstoff einen hervorragenden Elektronendonator dar. Somit ergibt sich aus der Entwicklung von Wasserstoff die Fragestellung, in welchem Ausmaß ein mikrobiologischer Bewuchs zu erwarten ist. Grundsätzlich denkbare Effekte reichen dabei von einer Blockade des reaktiven Systems durch das Zuwachsen mit Mikroorganismen bis hin zu einer gesteigerten Abbaurate von LCKW durch synergistische Dechlorierungsprozesse. In diesem Projekt sollen erstmals die Existenz und das Potenzial von relevanten Bakteriengruppen in der am Standort Rheine existierenden Wand mit elementarem Eisen erfasst werden. Im Einzelnen lassen sich folgende, grundlegende Fragen formulieren:

    1. Gibt es eine messbare mikrobiologische Aktivität ?
    2. Welche relevanten ökophysiologischen Gruppen lassen sich nachweisen ?
    3. Sind reduktiv dechlorierende Bakterien vorhanden ?
    4. Wenn ja, haben diese Mikroorganismen einen positiven Effekt auf die Dechlorierungsrate ?

    Ein Hauptziel dieses Forschungsvorhabens der Technischen Universität Berlin ist es also, den Einfluss von Mikroorganismen auf das Langzeitverhalten reaktiver Systeme mit nullwertigem Eisen zu untersuchen. Dabei soll zum einen festgestellt werden, ob verschiedene, für bestimmte Grundwässer typische Mikroorganismen fähig sind, elementares Eisen dauerhaft zu besiedeln und ob dadurch signifikante Permeabilitätsverluste und Leistungseinbußen des reaktiven Systems entstehen. Zum anderen soll überprüft werden, ob und wie die Dechlorierungscharakteristik eines reaktiven Systems mit elementarem Eisen durch verschiedene Mikroorganismengruppen beeinflusst wird. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Nachweis der respiratorisch dechlorierenden Mikroorganismen gelegt, da sich aus diesen Ergebnissen möglicherweise Alternativen für innovative Reinigungsverfahren ableiten lassen. Bei allen Untersuchungszielen wird Wert auf die Übertragbarkeit der gewonnenen Ergebnisse auf andere Reinigungswände mit nullwertigem Eisen gelegt.

    Mit Hilfe dieser Untersuchungen kann die Bedeutung mikrobieller Einflüsse auf die Leistungsfähigkeit, Dechlorierungscharakteristik und das Langzeitverhalten reaktiver Systeme mit elementarem Eisen beurteilt werden und ferner sollen sie einen Beitrag zur Konzeption kombinierter mikrobiologischer/abiotischer Verfahren liefern.

    In diesem Ansatz soll erstmals die Anwesenheit und das Aktivitätspotenzial sowie die dadurch zu erwartenden Auswirkungen von relevanten Bakteriengruppen erfasst und bewertet werden. Untersuchungen dieser Art wurden bisher noch nicht durchgeführt, sind aber unabdingbar, um das Langzeitverhalten von permeablen Reaktionssystemen besser prognostizieren zu können und schließlich damit auch gegebenenfalls Vorbehalte gegenüber dieser Sanierungstechnologie zu beseitigen. Dabei stellt gerade die Möglichkeit, an der Fe(0)-reaktiven Wand am Standort Rheine Untersuchungen durchzuführen, eine besondere Chance dar, weil dieses das in der Bundesrepublik Deutschland am längsten betriebene, reale System im Feldmaßstab ist. Das erste Stadium der Alterung (Verwitterung) des Eisens im kontaminierten Grundwasser ist bereits erreicht und damit auch die Möglichkeit der Ansiedlung von Mikroorganismen gegeben.